
49 vom Blattfall IV-1407
Als Papa mich weckte, war es noch dunkel. Ich hรถrte die anderen neben uns schnarchen. Mama nahm Asiel behutsam aus seinem Bettchen. Er winselte wie ein Baby. ยปStillยซ, flรผsterte sie ihm ins Ohr. ยปSchlaf weiter.ยซ
Papa gab uns ein Zeichen, ihm zu folgen.
Mir war schwindelig, die Beine waren schwer, ich fror am ganzen Kรถrper, die Haare richteten sich auf. Ich stolperte รผber etwas.
ยปWarum haben wir die anderen nicht mitgenommen?ยซ, fragte ich Papa, als wir weit genug vom Lager entfernt waren.
ยปWenn wir uns allein durchkรคmpfen, haben wir es leichter. Die Wรถlfe รผberraschen uns in einer groรen Gruppe schneller. Jetzt kommt, die Grenze ist schon ganz nah.ยซ
Wir liefen weiter, der Magen knurrte und meine Lefzen waren trocken.
Als die Sonne hoch oben am Himmel stand, blieb Papa stehen.
ยปVersteckt euch hinter den Bรคumenยซ, befahl er uns. Mir wurde flau.
Was hatte er entdeckt, fragte ich mich. Wir rannten zu einer Eiche. Vorsichtig lugte ich von dort hervor. Wรถlfe liefen von einer Stelle zur anderen, blieben immer wieder stehen. Dabei hielten sie ihre Nase in die Luft. Asiel winselte neben uns. Mama versuchte, ihn zu beruhigen, in dem sie ihn in ihrem Arm hin und her schunkelte.
Warum laufen wir nicht einfach drumherum, fragte ich mich. Aber Papa wird schon wissen, was er da tut.
Papa hob einen langen Stock auf, der neben ihm lag. Er schwenkte aus. Mama schรผttelte den Kopf und sah ihn mit groรen Augen an, ihre Stirn war glatt. Da hatte er ihn auch schon weggeworfen.
ยปLauft!ยซ, flรผsterte er.
Als wir losrannten, stand einer von ihnen plรถtzlich vor uns. Ich zuckte zusammen. Jetzt ist es aus, dachte ich.
ยปWas macht ihr hier?ยซ, bellte er uns an. Dabei fletschten seine Zรคhne. ยปAbhauen? Nun, daraus wird wohl nichts. Ihr werdet Volpa nicht lebend verlassen!ยซ Asiel fing an zu weinen. Die Stimme des Wolfes drรถhnte tief und laut in meinen Ohren. Er war grรถรer und stรคmmiger als die anderen. Seine Oberarme waren dick, die Muskeln angespannt. An seinem Bauch sah ich eine lange rote Narbe. Sie leuchtete wie Feuer. Dort wuchs kein Fell mehr.
Die anderen Wรถlfe stellten sich neben ihm und verschrรคnkten die Arme. Sie sahen uns genauso bรถse an, wie er.
Dann knackte etwas im Wald. Papa begann zu rennen, wir folgten ihm. ยปLos! Hinterher!ยซ, hรถrte ich einen der Wรถlfe hinter uns rufen.
Ich lief, so schnell ich konnte, รผberholte Mama, Asiel und Papa, der mir etwas hinterherrief. Ich rannte schneller und schneller, die Gedanken auf die Wรถlfe gerichtet. Meine ganze Wut und mein ganzer Hass stauten sich in mir an. Hitze steige in mir auf und fuhr durch den Kรถrper. Ich blieb stehen und drehte mich zu ihnen um.
ยปWas machst du da Kind?ยซ, fragte Mama. Ich sah die Wรถlfe an, stellte mir vor, wie sie verbrennen. Streckte meine Hรคnde nach vorn und brรผllte einen Schrei heraus.
Unsere Verfolger blieben stehen. ยปWas hat sie vor?ยซ, fragte einer.
ยปSie will sterbenยซ, antwortete ihr Anfรผhrer.
ยปNichts leichter als dasยซ, sagte der Dritte.
Doch etwas packte mich an den Seiten. Mama und Papa trugen mich weg.
ยปWas hast du vor? Willst du gefressen werden?ยซ, brรผllte Papa mich an. Ich schรผttelte den Kopf. ยปIch wollte sie verbrennen.ยซ
Sie verfolgten uns. Rodi setzten mich schnell ab und ich rannte weiter. Warum klappte es nicht? Was musste ich tun?
ยปBeeilt Euch!ยซ, rief einer von ihnen. ยปSie sind gleich รผber der Grenze. Wir mรผssen sie einholen!ยซ
Ich lief, so schnell ich konnte. Merkte, dass meine Beine schwerer wurden, der Hals kratzte, die Brust tat mir weh.
Der Waldrand kam immer schneller auf mich zu. Die Grenze. Mit letzter Kraft rannte ich darauf zu, in der Hoffnung, dass sie uns dort nicht mehr verfolgten.
Wir stรผrmten aus dem Wald hinaus, รผber Wiesen in ein Tal mit komischen eckigen Bauten. Auf den Wegen liefen seltsame Wesen, die ich noch nie gesehen hatte. Sie hatten nur auf den Kรถpfen Fell, sonst waren sie รผberall nackt. Bei manchen war es hell, bei anderen dunkel, welche waren rot.
Papa erzรคhlte von ihnen. Menschen. Sie gafften uns an, riefen uns etwas zu. Ich verstand ihre Sprache nicht.
ยปKommt, gehen wir weiterยซ, sagte Papa. รngstlich sah ich zum Wald. Die Wรถlfe schienen uns nicht mehr zu verfolgen. Aber Paupau humpelte.
Einer der Fremden spuckte Papa an. Sie wedelten mit den Armen, hielten komische Gerรคte in die Luft.
Wollten sie damit auf uns eindreschen?
Ich hatte Angst.
ยปLasst uns weiterziehenยซ, sagte Papa.
Aus der Menge meinte ich eine sanfte Stimme zu erkennen, verstand sie aber nicht. Papa blieb stehen. Die Fremden drรคngten sich um uns. Doch dann hรถrte ich sie erneut. Sie rief etwas, die Massen schauten in die andere Richtung. Dann bildeten sie eine Gasse. Dort stand einer von ihnen. Ich vermutete, dass es eine Frau war. Sie lรคchelte. Ihre Zรคhne waren schneeweiร. Unter einem weiรen Kopftuch mit blauen Blรผten sah ich einen langen gelben Zopf vorgucken.
Sie wedelte mit der Hand hin und her. Die Leute meckerten sie an, lรถsten sich aber auf.
Sie sagte etwas. Papa schรผttelte den Kopf und antwortete gebrochen in ihrer Sprache. Sie zeigte auf sein Bein, seine Hose war zerrissen. Blut klebte in seinem grauen Fell. Mama schaute auch dorthin. Er lief weiter. Sie folgte uns.
Die Fremde fasste Papa derb an den Arm. Er kniff die Augen zusammen. Mama sah ihn erschrocken an. ยปWas will sie?ยซ
ยปIhr mitkommt!ยซ, antwortete die Frau in unserer Sprache mit einem seltsamen Dialekt.
Er schรผttelte den Kopf. ยปWir kรถnnen nicht, wir mรผssen weiter.ยซ
Sie zeigte auf sein Bein. ยปWunde.ยซ
ยปNein.ยซ
Asiel begann zu knurren. Die Frau sah ihn an und verzog die Schnute. Dann strich sie ihm sanft รผber seine Wangen. Er wurde still.
Sie sagte etwas. Ich verstand nur Essen.
Papa รผbersetzte. ยปSie gibt uns einen Unterschlupf und etwas zu essen. Sie sagt, bei ihr sind noch mehr von uns. Ich kรถnnte dort meine Wunde versorgen.ยซ
ยปTraust du ihr?ยซ
Papa nickte. ยปWir haben aber nicht viel Zeit. Bis zum Winter ist es nicht mehr weit. Bis dahin sollten wir eine Unterkunft finden.ยซ
ยปIhr โฆ schaffen, Winterยซ, antwortete sie.
Aus der Masse schimpfte eine quietschende gebrochene Stimme. Der Mann hatte eine Zahnlรผcke und graues zerzaustes Haar. Die Frau winkte ab und schรผttelte den Kopf. Mama sah sie fragend an.
ยปBin Majaยซ, sagte sie und wir folgten ihr in ihre Hรผtte.
Dort saรen noch mehr von uns. Papa kniff sich die Augen, als er sich zu ihnen auf den Boden setzte. Er streckte sein Bein aus und seufzte. Trรคnen rannen die Wangen herunter. Weinte er? Er nickte uns zu und lรคchelte. ยปWir haben es geschafftยซ, sagte er. ยปWir sind aus Volpa raus.ยซ
Der Mann neben ihm klopfte ihm auf den Rรผcken. Er hatte einen grauen Verband um seine Schultern. Erst jetzt sah ich, dass ihm der linke Arm fehlte. ยปWir sind raus, aber noch nicht in Sicherheit.ยซ Er schรผttelte den Kopf.
Was hatte das zu bedeuten? Wieder tat sich das unwohle Kribbeln in meinem Bauch auf.
Papa holte tief Luft und nickte. ยปWenigstens sind wir aus Volpa raus.ยซ
ยปSie werden uns weiter verfolgen.ยซ Der Einarmige zeigte aus dem Fenster. ยปSie sind nicht besser als die Wรถlfe. Sie haben uns bespuckt und beschimpft.ยซ Dann sah er zu Maja, die hinter uns stand: ยปDie wenigsten sind so, wie sie.ยซ
Sie sah uns wehmรผtig an.
Papa versorgte seine Verletzungen. Maja machte sie sauber und rieb sie mit einer blauen Salbe ein. Erst dort sah ich, wie groร die Wunde war. Es hatte sich Eiter gebildet.
Papa und Maja schienen zu streiten.
ยปSie will, dass wir hierbleiben. Wir kรถnnen aber nicht.ยซ
Die Frau sagte etwas. Frau, Kinder.
Papa รผbersetzte: ยปWir kรถnnen so lange bleiben, wie wir wollen. Kรถnnen uns hier ausruhen, bis wir wieder gesund und bei Krรคften sind.ยซ
Dann diskutierten sie weiter. Maja zeigte auf Papas Bein. Ich hรถrte die Worte Winter und Zuhause. Am Ende sagte sie tot. Ich zuckte zusammen.
ยปSie hat Angst, dass wir es nicht schaffenยซ, seufzte Papa. Maja nickte.
Wir aรen und tranken zusammen mit den anderen. Ich war zum ersten Mal satt. Es war so viel von allem da. Wir konnten verschnaufen. Maja fragte mich wegen des Tagebuchs, ich habe es ihr aber nicht gegeben.
Wir unterhielten uns noch, bevor Mama mich und Asiel Schlafen legten. Ich schlief in einem richtigen Bett. Es war weich und kuschelig.
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