Tag 09: Rettung

53 vom Blattfall IV-1407

Ich konnte vorletzte Nacht nicht schlafen, konnte nicht aufhรถren, an diesen Mann im Kรคfig zu denken. Es ist grausam, dass er dort gefangen wurde.
Nachdem ich mich im Bett hin und her wรคlzte, setzte ich mich auf. Es war dunkel, durch das Fenster schien das kalte Mondlicht von Mes Lid herein. Asiel atmete leise neben mir.
Dann stand ich auf, schlich mich zum Stuhl, รผber den ich mein Kleid gehangen hatte, und zog es an. Asiel holte tief Luft. Hatte er mich gehรถrt? Wie versteinert blieb ich stehen. Er atmete leise weiter. Auf Zehenspitzen ging ich aus dem Raum, langsam die Treppe hinab, zur Haustรผr. Ich drehte mich noch mal um. Aus dem Zimmer, in dem Kelm und Sadab schliefen, hรถrte ich ein Schnarchen.
Ich drehte vorsichtig den Schlรผssel herum, dann รถffnete ich die Tรผr. Ich rannte hinaus, den Weg entlang. Es war kalt, ich fror in meinem Kleid.
Tat ich das Richtige?
Langsam lief ich den Weg im Dunkeln entlang. Die Bรคume, deren Kronen in der Dunkelheit verschwanden, sahen zu mir herab und beobachteten mich. Sie beugten sich zu mir herunter, dabei knarzten ihre ร„ste. Ich zitterte, mein Bauch zog sich zusammen. Die Stille wurde durch ein Huhhuhuhu, Huhhuhuhu gestรถrt. Das Gerรคusch der Eule klang wie: Geh wieder nach Hause Kind.
Ich zuckte zusammen, sah zu den Bรคumen hinauf. Dort blitzte etwas zwischen den ร„sten. Dann rannte ich, so schnell ich konnte, in die Stadt.
Die StraรŸen waren leer gefegt. Aus wenigen Fenstern schien Licht heraus, das sich auf dem feuchten Kopfsteinpflaster wieder spiegelte. Ich rutschte weg, konnte mich aber halten. So lief ich zum Markt.
Von Weitem konnte ich den Kรคfig mit seinen Eisenstรคben erkennen. Ich schlich hin, sah mich um. Niemand war zu sehen, ich atmete auf.
Aus dem Wagen kam ein Schnarchen. Ich sah durch die Gitterstรคbe, konnte nur erkennen, dass der Volpur zusammengekauert in der Ecke lag.
Dann ging ich um den Wagen herum. Da war eine Tรผr, ich versuchte, sie zu รถffnen, doch sie war mit einem Schloss verriegelt. Mist! Wie konnte ich ihn befreien?
Ich nahm einen Stock und hielt ihn zwischen die Gitter, dann drรผckte ich fest dagegen. Mit einem lauten Knacken zerbrach dieser. Ich stand wie versteinert da, hoffentlich hat das keiner gehรถrt.

ยปHe kleineยซ, rief es. Ich zuckte zusammen, ein kalter Schauer lief mir den Rรผcken herunter. Dann pfiff es leise. Der Volpur hatte sich aufgerichtet, seine Augen funkelten mich an.
ยปWas hast du vor?ยซ, fragte er. Ich zuckte mit den Schultern. ยปWeiรŸ nicht, dir helfen?ยซ
Er hielt seine Arme mit den Fesseln nach vorn. ยปWird schwerยซ, sagte er, er klang verzweifelt. Ich musste ihm helfen. Doch wie? Wo es ein Schloss gibt, muss es auch Schlรผssel geben. Nur, wo ist der?
Ich lief um den Kรคfig, fasste mit der Tatze drunter, konnte aber nichts finden. ยปWeiรŸt du, wo der Schlรผssel ist?ยซ
Der Fremde zuckte mit den Schultern und schnaubte.
Er sah hinter sich. ยปIch glaube, da steht ein anderer Wagen hinter einem der Bรคume. Da wohnt der drinยซ.
Ich sah in die Richtung, im Dunkeln konnte ich auf einer Wiese einen Wagen erkennen. Ich schlich mich hin. Das Fenster war geรถffnet, jemand schnarchte. Ich holte tief Luft. Sollte ich das wirklich machen?
Aber mir blieb nichts anderes รผbrig. Ich ging zur anderen Seite, stieg die kleine Treppe hinauf, drรผckte die Klinke langsam herunter. Die Tรผr รถffnete sich. Vor mir stand das Bett, in dem dieser widerliche Kerl schlief. Ich sah seinen fetten nackten Kรถrper unter der Decke hervorschauen. Es war so eklig. Ich finde die Menschen eklig. Sie sind nackt und haben รผberall nur ein paar Haare. Das sieht so widerlich aus.
Ich sah mich um. An einem Brett hing ein Schlรผsselbund. Ich griff sofort danach und schlich mich hinaus.
Schnell steckte ich einen Schlรผssel nach dem anderen ins Loch. Beim Dritten klackte das Schloss auf. Ich war im Wagen.
ยปLos, beeil dich!ยซ, hetzte mich der Fuchs. Mein Herz schlug ganz schnell. Ich griff nach den Schlรผsseln. Seine Fesseln konnte ich lรถsen. Mir wurde heiรŸ.
Hinter mir drรถhnte eine tiefe Stimme, ich zuckte zusammen. ยปWas ist hier los? Noch so ein edles Exemplar fรผr meine Sammlung.ยซ Der Raum wurde heller. Dumpfe Schritte kamen nรคher, kalte raue Hรคnde packten mich im Genick.
ยปHast wohl jemanden gefunden, der dich retten will?ยซ Dazu grinste er den Volpur an.
Was wird er jetzt mit mir anstellen?

Seine Laterne stellte er auf den Boden. Dann kettete er mich in der anderen Ecke an. Erst verschloss er meine Armfesseln, dann die Beine. Hรคmisch grinste er mich an. ยปSo, du kannst nun nicht mehr weglaufen. Was ich doch hier fรผr ein junges, schรถnes Exemplar habe. Da werden mir die Menschen noch mehr Geld dafรผr zahlen.ยซ
Er ging aus dem Wagen. Ich verabscheute und verfluchte ihn.
ยปWรคrst lieber zu Hause gebliebenยซ, sagte der Fuchs zu mir. Ich nickte und hob meine Arme. Ich sah meine Fesseln an. Das habe ich jetzt davon, dass ich abgehauen bin und helfen wollte. Wรคre ich nur bei Maja geblieben โ€ฆ
Maja. ยปMeine Eltern werden uns schon hier rausholenยซ, sagte ich zu ihm. Werden sie es wirklich? Werden sie mich finden?
Er nickte. ยปIhr seid auch geflรผchtet?ยซ
ยปJa, wir wollen nach Westen. Haben hier einen Unterschlupf gefunden. Mein Papa ist verletzt und muss sich auskurieren. Was ist mit dir?ยซ
ยปSie haben mein Dorf รผberfallen. Ich konnte mich unter einer Plane verstecken, habe gehรถrt, wie meine Frau und unser Kind geschrien haben. Ich war so feige โ€ฆยซ Er schluchzte. Seine Trรคnen blitzten in der Morgendรคmmerung. ยปIch habe meine Familie im Stich gelassen, nur, weil ich mich retten wollte. Vielleicht ist das hier die Strafe dafรผr. Vielleicht habe ich deswegen nichts Besseres verdient, als in diesem Stall, an Ketten zu liegen und zur Schau gestellt zu werden. Du hรคttest mich nicht retten sollen. Hรคttest mich hier verrotten lassen. Jetzt hat er dich auch gefangen.ยซ

Am Morgen kam der Fette an den Kรคfig. ยปNa, Ihr werdet doch beide nicht an Mitleid verrecken.ยซ Er lachte laut. Ich wรผnschte, er wรผrde in Flammen aufgehen. Er lief an den Gittern entlang und grinste uns an. ยปZwei so schรถne Exemplare.ยซ
ยปLass uns sofort hier raus!ยซ, brรผllte ich ihn an. Ich wollte zu ihm stรผrmen, doch meine Fesseln waren zu kurz und zogen mich wieder an die Wand. Er lachte, dann verschwand er.
ยปEr versteht dich nichtยซ, sagte der Fuchs.
ยปVerstehst du, was er sagt?ยซ
Er zuckte mit der Schulter. ยปManches, doch will ich es nicht. Er hetzt nur รผber uns her. Du?ยซ
Ich nickte.

ยปWie heiรŸt du?ยซ, fragte mich der Volpur.
ยปOzeanaยซ, antwortete ich.
ยปIch bin Niven.ยซ
ยปWie lange bist du schon hier?ยซ
Er zuckte mit der Schulter. ยปIch weiรŸ es nicht.ยซ
Irgendetwas passierte drauรŸen. Ich hรถrte Pferde wiehern und schnauben. Es klapperte und klirrte, dann setzte sich der Wagen in Bewegung.
Ich sah mich ruckartig um, mein Herz raste.
ยปWo fahren wir hin?ยซ, fragte ich.
Niven zuckte mit den Schultern. ยปIn ein anderes Dorf, einen anderen Ort. Irgendwo, wo er uns zur Schau stellen kann.ยซ
ยปAber, dort werden Mama und Papa uns nicht finden.ยซ Mein Magen zog sich zusammen. Wieder versuchte ich, an die Gitterstรคbe zu kommen, doch die Fesseln waren zu kurz.
Ich รคrgerte mich, dass ich das gemacht habe. Wรคre ich doch nur bei Maja geblieben. Warum machte ich so was? Warum wollte ich Niven retten, er schien es gar nicht zu wollen.

Niven seufzte. ยปMeinst du, deine Familie wรคre gekommen, um dich zu retten?ยซ
Ich nickte. ยปJa, wรคren sie. Sie werden mich finden und retten.ยซ Das hoffte ich. Meine Augen wurden feucht, mein Bauch zog sich zusammen.
ยปEs tut mir leid. Du hรคttest dortbleiben sollen und dich nicht um mich kรผmmern, Kind. Du bist noch jung und hast noch so viel vor dir. Aber ich? Ich bin alt, ich habe meine Familie verloren. Ich habe alle im Stich gelassen. Ich bin verloren. Ich bin dazu verdammt, hier in dem Kรคfig hausen zu mรผssen und zu hungern. Fรผr mich ist es trotzdem noch besser, als von den Wรถlfen gefressen zu werden oder da drauรŸen in der ร–dnis รผberleben zu mรผssen.ยซ
Wรคhrend der Fahrt sah ich, wie die Bรคume an uns vorbeizogen. รœber den braunen Wiesen stieg Rauch auf. Der Horizont war grau. Die Kรคlte kroch unter mein Fell. Der Wind wehte mir ins Gesicht. In der Ferne sah ich ein paar Rehe รผber die Wiesen springen. Auch wenn sie etwas zu fressen zu suchen schienen, sie waren frei. Selbst, wenn ich noch mal Wรผrmer oder Spinnen essen mรผsste, ich hรคtte etwas im Magen und wรคre frei.
Immer wieder ruckelte der Wagen, wenn wir รผber Steine oder Lรถcher fuhren. Die Eisenschienen der Rรคder klapperten laut, wie sie so รผber den Weg fuhren.
Ich รผberlegte, wie wir hier raus kommen kรถnnen.

Wir kamen in ein Dorf. Kleine Hรคuser standen am Wegesrand, Hunde bellten. Eine Frau stand vor ihrem Haus, neugierig sah sie uns an.
Wir hielten auf einem Platz an. Er schmiss uns etwas zu Essen rein. Ich biss ab, es schmeckte nicht, doch der Hunger trieb es herunter.

Der Mann stellte sich vor den Kรคfig und rief: ยปSeht, der Kรคfig der Kuriositรคten ist wieder im Ort. Diesmal sogar mit 2 Schmuckstรผcken.ยซ Er hatte seine Arme ausgebreitet. Die Leute versammelten sich davor und begafften uns. Es war so unangenehm, wie sie uns beobachteten. Ein paar Menschen warfen Mรผnzen in einen Topf, der vor dem Wagen stand. Einige schauten uns mitleidig an, doch sie unternahmen nichts. Niemand tat etwas.
Den ganzen Tag wurden wir begafft.

Auch wenn ich noch Hunger hatte und mir kalt war, so bin ich trotzdem am Abend eingenickt. Ein Rascheln weckte mich. Ich hรถrte von drauรŸen ein Flรผstern, dann Schritte, die nรคher kamen. Die Tรผr knallte laut, dann flog sie auf. Mama und Maja standen im Kรคfig. Sie lรถsten unsere Fesseln. Beide sahen mich mit Trรคnen in den Augen an.
ยปWas machst du?ยซ, fragte Mama mich. Ich fing an zu weinen, konnte nichts sagen und zuckte mit der Schulter, wรคhrend ich zu Boden schaute. Dann umarmte sie mich. ยปEs ist alles gut mein Kindยซ, flรผsterte sie mir ins Ohr und streichelte mir รผber die Mรคhne.
Von drauรŸen drรถhnte die Stimme unseres Peinigers. ยปWas macht ihr hier? Ihr brecht in meinen Wagen ein und klaut meine Sachen?!ยซ
Maja drehte sich um und schrie ihn an. ยปDeine Sachen? Das sind Wesen und keine Gegenstรคnde. Aber einen Bรผttel interessieren die Sachen schon. Entweder, du lรคsst sie gehen oder ich melde es.ยซ
ยปAber โ€ฆ aber โ€ฆ ich mรถchte keinen ร„rger.ยซ
Er wurde ruhiger, ging einen Schritt zurรผck und hatte die Handflรคchen aufgerichtet. Sein Kopf wurde rot.
Hinter ihm stand eine Wache. Wรคhrend wir gingen, hรถrte ich ihn winseln.
ยปWas ist mit ihmยซ, fragte ich.
ยปWachen kommen, wird bรผรŸenยซ, antwortete Maja.
Ich war erleichtert, dass sie uns gefunden haben und befreiten. Niven ging mit uns mit.


Bewertungen

0,0
0,0 von 5 Sternen (basierend auf 0 Bewertungen)

Deine Bewertung


Beitrag verรถffentlicht

in

, , , ,

von

Schlagwรถrter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht verรถffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert